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Benedikt XV.: Der unauff?llige Papst

Auf hohem Sockel ein Denkmal mit m?nnlicher Skulptur: ein Papst in vollem Ornat, die Tiara auf dem Haupt, die Rechte weit ausgestreckt, als wolle der Kirchenfürst etwas abwehren. Eine Inschrift rühmt den Dargestellten. In tragischer Zeit habe er den Menschen Wohltaten erwiesen, ohne Rücksicht auf Nationalit?t oder Religion. Zum Zeugnis der Dankbarkeit errichtet ?vom Orient“. Der Orient ist die Türkei. Das Denkmal steht seit Dezember 1921 im Hof der katholischen Heilig-Geist-Kathedrale in Istanbul. Der Dargestellte scheint den Kriegsparteien des Ersten Weltkriegs mit einer energischen Geste entgegenzutreten, die ihnen gebietet, den Kampf einzustellen. Es handelt sich um Benedikt XV.

Von der Forschung vernachl?ssigt

Tats?chlich findet die Verehrung, die sich in dem türkischen Denkmal für Benedikt XV. ausspricht, kaum ein Echo in der bisherigen Geschichtsschreibung. Die Forschung hat den von 1914 bis 1922 amtierenden unauff?lligsten Papst des zwanzigsten Jahrhunderts vernachl?ssigt. Zu Unrecht, meint J?rg Ernesti, Kirchenhistoriker an der Universit?t Augsburg, und legt nun eine sorgf?ltig recherchierte Biographie von Papst Benedikt XV. vor.

Der Autor schildert den Lebensweg des Genueser Adligen. 1854 als Giacomo Della Chiesa geboren, hat er zun?chst Jura studiert und in diesem Fach promoviert, um sich dann der Theologie zuzuwenden und eine Ausbildung an der p?pstlichen Diplomatenakademie zu absolvieren. Diplomatische Erfahrungen sammelt Della Chiesa als Mitarbeiter von Kardinal Mariano Rampolla, dem Staatssekret?r von Papst Leo XIII. Seine pastoralen Lehrjahre verbringt Della Chiesa 1907 bis 1914 als Erzbischof von Bologna. Als Leos Nachfolger Papst Pius X. am 20. Oktober 1914 stirbt, w?hlen die Kardin?le den Erzbischof von Bologna zweifellos nicht zuletzt deshalb, weil der soeben begonnene Weltkrieg eine Herausforderung bildet, der sich nur ein Diplomat stellen kann.

Neutralit?t im Ersten Weltkrieg

Ernestis ausführlichstes Kapitel gilt den diplomatischen Bemühungen des Papstes w?hrend der Kriegsjahre. Benedikt legt Wert auf Neutralit?t zwischen den Parteien. Er setzt alle ihm zur Verfügung stehenden diplomatischen Mittel ein, einen raschen Frieden zu vermitteln. Ohne Erfolg. Aus Furcht, der Papst wolle gegenüber dem italienischen Staat territoriale Ansprüche geltend machen, um den 1870 verlorenen Kirchenstaat wiederzu errichten, isoliert Italien den Papst. An den Friedensverhandlungen von 1918 in Versailles kann Benedikt XV. nicht teilnehmen.

W?hrend die Diplomatie misslingt, ist Benedikts humanit?rer Einsatz zugunsten von Verletzten und Flüchtlingen erfolgreich. Er stellt Mittel zur Verfügung, um Verwundete zu pflegen, l?sst Hilfsgüter verteilen und unterh?lt ein Büro zur Sammlung von Daten über Verschollene. Solche Initiativen wirken sich auch in der Türkei aus: Daher das Denkmal, dessen Errichtung noch zu Lebzeiten des Papstes erfolgt. Der Hinweis der Inschrift auf die humanit?re Hilfe, die der Papst ohne Rücksicht auf Nationalit?t und Religion gew?hrt, ist w?rtlich dem - leider wirkungslosen - p?pstlichen Friedensaufruf ?Dès le début“ (Seit dem Beginn unseres Pontifikats) vom 1. August 1917 entnommen. Dem Papst dankbar sind nicht zuletzt die Armenier, gegen deren Unterdrückung und Vernichtung durch den osmanischen Staat der Papst bei Sultan Mehmed V. protestiert hatte.

Nur verhalten deutet Ernesti Kritik an dem Vers?umnis des Papstes an, dem 1919 auf Anregung des amerikanischen Pr?sidenten Thomas Woodrow Wilson gegründeten V?lkerbund, der Liga der Nationen, beizutreten. Die noch gravierendere Fehlentscheidung des Papstes, von Ernesti ohne Bewertung referiert, liegt allerdings nicht auf staatspolitischem, sondern ?kumenischem Gebiet. Im Dezember 1914 bekundet Benedikt XV. sein Interesse an der damals noch jungen ?kumenischen Bewegung und weckt Hoffnungen. Am 16. Mai 1919 empf?ngt der Papst eine Delegation der amerikanischen Episcopalian Church. Sie unterrichtet ihn über eine geplante ?kumenische Weltkonferenz und wirbt für die Teilnahme der katholischen Kirche.

dpa, F.A.Z.
Der Papst ruft, die Gl?ubigen kommen aus aller Welt: Auf dem Petersplatz im Vatikan.

Der Papst empf?ngt die Delegierten freundlich, lehnt jedoch die Beteiligung ab. Stattdessen l?dt er zur Rückkehr in die ?wahre Kirche“ ein. Welche überraschung: Statt der erhofften Unterstützung finden die Delegierten schroffe Ablehnung. Noch im selben Jahr verbietet das Heilige Offizium die Mitarbeit von Katholiken in Organisationen, die die Einheit suchen. Damit ist der Einstieg der katholischen Kirche in die ?kumenische Bewegung verpasst - ein Fehler, der bis in die Gegenwart nachwirkt. Noch heute liegt den ?kumenischen Initiativen der katholischen Kirche das von Benedikt XV. vorgepr?gte Muster zugrunde: Man gibt sich offen für die orthodoxen Kirchen des Ostens, w?hrend den reformatorischen Kirchen die kalte Schulter gezeigt wird.

Ein stets ungeduldiger Workaholic

Nur sieben Jahre, bis zum 22. Januar 1922, bekleidet Benedikt XV. das Amt des Papstes. Im Alter von siebenundsechzig Jahren stirbt er an einer Lungenentzündung. Ernesti schildert ihn als einen Mann von kleiner Gestalt, als ?workaholic“, der stets ungeduldig war und zur Eile mahnte. Mit seinem Staatssekret?r, dem Sizilianer Pietro Gasparri, hat er perfekt zusammengearbeitet. Sein fehlendes Charisma konnte Della Chiesa durch pers?nliche Bescheidenheit, Akribie und Arbeitskraft ausgleichen. Die Biographie von J?rg Ernesti schlie?t eine Lücke in der deutschsprachigen Papstliteratur - und erinnert an verdr?ngte Aufgaben, an die sich offenbar auch Papst Franziskus noch nicht heranwagt.

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